Zwei neue Gesetzesentwürfe zur Regelung der straffreien Suizidhilfe liegen seit Kurzem vor.[1] Eine Neuregelung ist dringend geboten. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 26. Februar 2020 (BVerfG 2 BvR 2347/15 Rn. 1-343) die erst in 2015 eingeführte Änderung des § 217 Strafgesetzbuch gekippt. Nach § 217 StGB sollte sich jeder strafbar machen, der ‚geschäftsmäßig‘ bei einem Suizid Beihilfe leistet, und straffrei bleiben, der dies nicht ‚geschäftsmäßig‘ tat. Insbesondere sollten Verwandte von der Strafbarkeit ausgenommen werden, wenn sie Angehörigen beim Suizid halfen.

Ärzte, die als Berufsstand exklusiv die fachliche Kompetenz aufweisen, den Suizid ‚medizinisch‘ zu begleiten, halfen nicht. Ihnen war das Risiko zu groß, sich mit einem Strafprozess konfrontiert zu sehen, in dem der unbestimmte Begriff der „Geschäftsmäßigkeit“ erst zu klären gewesen wäre. Hinzu kommt, dass die Berufsordnungen der Landesärztekammern mehrheitlich eine Beihilfe zum Suizid als unethisches Verhalten verbieten. Das Betäubungsmittelgesetz lässt es überdies nicht zu, dass für den Suizid geeignete Barbiturate wie Natrium-Pentobarbital an Private ohne ärztliche Verordnung abgegeben werden.

Die Neuregelung des § 217 StGB in 2015 hat die Lage für Suizidwillig erheblich verschlechtert. Zuvor konnten sie sich wenigstens noch von geschäftsmäßig tätigen Organisationen unterstützen lassen. Im Ergebnis wurde der durch nicht-verwandte Unterstützer begleitete Suizid nach der neuen Rechtslage nahezu verunmöglicht. Hierin sah das Bundesverfassungsgericht eine unzulässige Einschränkung des Rechts auf individuelle Selbstbestimmung, das sich auch darauf erstrecke, sich fremder, geeigneter Hilfe zur Selbsttötung zu versichern. Das Gesetz zur Änderung des § 217 StGB wurde für nichtig erklärt. Damit trat die vor 2015 gültige Rechtslage wieder ein, in der statt kompetenter Mediziner mehr oder weniger windige Vereine die Hilfe zum Suizid unter Einsatz ungeeigneter Mittel und für erklägliche Geldsummen anboten. Ein unhaltbarer Zustand.

Der Gesetzesentwurf der Abgeordneten Helling-Plahr (FDP), Lauterbach (SPD), Sitte (Die Linke), Schulz (SPD) und Fricke (FDP) sieht einen Beratungsansatz vor.[2] Der Suizident hat zunächst eine Beratung bei einer dafür zugelassenen Stelle wahrzunehmen. Mit dem ihm auszustellenden Beratungsschein kann er sich von einem Arzt die für die Selbsttötung vorgesehenen Arzneimittel verschreiben lassen. Zuvor hat sich der Arzt zu versichern, dass die Beratung nicht länger als acht Wochen und nicht weniger als zehn Tage vergangen ist. Weiterhin muss er sich Gewissheit darüber verschaffen, dass der Suizident die Entscheidung zur Selbsttötung aus freien Stücken getroffen hat. Der überfraktionelle Entwurf krankt an mehreren Stellen.

Der Berater hat nicht nur über die Tragweite der Selbsttötung und Alternativen aufzuklären. Nach dem Gesetzesentwurf hat er auch zu beurteilen, ob der Suizidwillige aus „autonom gebildetem, freiem Willen“ handeln. Hat er daran begründete Zweifel, muss er dies auf der Bescheinigung vermerken. Der Arzt könnte zu einer abweichenden Einschätzung kommen, als der Berater dies vermerkt hat, und trotzdem Beihilfe zum Suizid leisten. Davon ist aber wohl kaum auszugehen, denn der Arzt würde sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, einer wohlmöglich unzurechnungsfähigen Person zum Tode verholfen zu haben. Eine Ärztekollegium vermag sich eher zu einer vom Berater unabhängigen Auffassung durchringen. Auch umgekehrt gilt, dass der Berater, der die Urteilsfähigkeit nicht angezweifelt hat, für den Arzt ein Faktum schafft, das leichter zu befolgen ist als umzustoßen. Das vermeintlich ‚doppelte Netz‘ von Berater und Arzt führt tendenziell zu einer Determinierung der Ärzteentscheidung durch das Votum des Beraters als Meinungsführer. Dem kann abgeholfen werden, indem der Berater in die Entscheidung – ohne vorheriges Votum – unmittelbar einbezogen wird.

Der Wunsch nach einem vorzeitig herbeigeführten Ableben besteht häufig im Zusammenhang mit schweren schmerzhaften und lebensverkürzenden Krankheiten. In der Regel befinden sich suizidwillige Menschen bereits im Hospiz, in klinischer Obhut, gar auf der Palliativstation oder haben die Einlieferung vor Augen. Für diese Menschen sind die sie behandelnden Ärzte ihre intimsten Vertrauten, die ihre Situation besser kennen als jeder andere. Diese Schwerstkranken zunächst zu einer Beratung zu schicken, um dort ihr Leiden vor weiteren Fremden ausbreiten zu müssen, die die medizinische Lage nicht begreifen, erscheint unbillig. Für die Personengruppe der Schwerstkranken sollte daher Beratung und Beihilfe zur Selbsttötung in die Hände der Ärzte der behandelnden Einrichtung gelegt werden können.

Auch Ärzte werden Entscheidungen über Leben oder Tod nicht alleine treffen. In Grenzfällen ist es offenkundig, dass eine kollegiale Beratung erforderlich ist. Es ist Ärzten weder zuzumuten, noch wird dies von den meisten Ärzten gewollt, die Zustimmung zur Suizidhilfe alleinverantwortlich zu treffen. Für sterbenskranke Suizidenten könnte ein solches Beraterkollegium aus dem behandelnden Facharzt, einem Palliativmediziner und einem unabhängigen, besonders erfahrenen Arzt bestehen. Für die Suizidwilligen, die nicht sterbenskrank sind, wäre eher ein Psychiater statt des Schmerzmediziners hinzuzuziehen. Wenn nun auf ärztlicher Seite ehedem von der Entscheidung eines hoch kompetenten Kollegiums ausgegangen werden muss, erscheint eine der ärztlichen vorangehende Beratung bei einer anderen Organisation wenig zusätzliche Sicherheit zu stiften, zumal die hierfür notwendigen Strukturen erst über Jahre flächendeckend aufzubauen wären.

An dem Konstrukt der Beratungsstellen ist weiter zu bemängeln, dass in grenzwertigen Situationen, in denen nicht klar ist, ob ein autonomer Wille zum Suizid besteht, ein Berater Psychologe oder Psychiater sein müsste, der sich längere Zeit mit dem Suizidenten zu befassen hätte, um ein fundiertes Urteil zu fällen. Nicht zuletzt würde der Suizident den Beratungsschein, auf dem sein autonomer Wille angezweifelt wird, vernichten und der nächsten Beratungsstelle Theater vorspielen, um einen ‚sauberen‘ Schein zu erhalten. Die Möglichkeit, den Zweifel des Beraters an der Autonomie des Suizidenten im Beratungsschein Ausdruck zu verleihen, ist also zugleich qualitativ kaum zu gewährleisten und letztlich nutzlos. Vorzugswürdig erscheint eine direkte Konsultation zwischen Berater und Arzt. Dies gäbe dem Arzt als letzter Instanz eine unverstellte Sicht auf die Qualifikation und die Auffassung des Beraters. An dieser Stelle ist erneut festzustellen, dass die Beratung und Entscheidung durch ein Ärztekollegium Beratungsstellen obsolet erscheinen lässt.

Von hoher Bedeutung ist, auf Wunsch auch anonym beraten zu werden. Dies ist nur unter gewissen Voraussetzungen möglich, denn die Bescheinigung muss für den Arzt klar erkennbar die richtige Person ausweisen. Entsprechend müsste die Identifikation der Person und die Ausstellung der Bescheinigung DV-technisch oder prozessual getrennt erfolgen. Beispielsweise könnte der Arzt dem ihm bekannten Suizidwilligen einen Code für die Beratung mitgeben. Oder die Identifizierung würde elektronisch erfolgen, ohne dass die Beratungsstelle den Namen des Suizidenten erfährt. Dies bedarf sorgsamer prozessualer Vorkehrungen. Diese Schwierigkeit stellt sich nicht, wenn sogleich ein Kollegium aus Ärzten, die der ärztlichen, strafbewehrten Schweigepflicht unterliegen, für die Beratung und Entscheidung zuständig wäre.

Minderjährige sind nach dem Gesetzentwurf ‚regelmäßig‘ nicht in der Lage, die Tragweite ihres Suizids zu begreifen. „Regelmäßig“ bedeutet, in Ausnahmefällen seien Teenager gleichwohl dazu in der Lage. Aber wann sind diese Ausnahmen gegeben? Aufgrund der rechtlichen Unbestimmtheit des Begriffs „regelmäßig“ wird sich kein Berater oder Arzt finden lassen, der eine Ausnahme bestätigen wird. Es wäre gleichwohl zu wünschen, das Gesetz würde die Möglichkeit des selbstbestimmten Suizids für Jugendliche und Kinder klar ausschließen oder in klar umrissenen Grenzen definieren. Naheliegend wäre die Gestattung der Beihilfe zum Suizid Minderjähriger in den Fällen schwerer, schmerzhafter Krankheit mit kurzer Lebenserwartung, sofern die Erziehungsberechtigten eingebunden sind und ihre Zustimmung erteilen. Auch Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf ihre Selbstbestimmtheit am Lebensende.

Ungeregelt bleibt eine Reihe von Fragestellungen. Sind Beratungsstellen und Ärzte verpflichtet, aufgrund einer latenten Gefahr der Selbsttötung eine Einweisung zu verfügen, wenn der Suizidwillige seine Entscheidung nicht autonom zu treffen vermag? Dieses Erfordernis würde Menschen, die eine Beratung suchen, klar abschrecken, denn sie müssten damit rechnen, für eine Weile in der „Klapsmühle“ zu landen. Die Beratungsstellen und Ärzte müssten davon befreit werden, Hilfe holen beziehungsweise Suizidwillige einweisen zu müssen, solange eine Sebstgefährdung nicht akut bevorsteht. Befände sich der Suizident sogleich in ärztlicher Betreuung, könnte eine psychologische Betreuung viel eher unvermittelt erfolgen.

Der Arzt, der sich anbietet, dem Wunsch des Suizidwilligen nach Verschreibung der tödlichen Medikation nachzukommen, wird gleichwohl durch den Gesetzesentwurf nicht verpflichtet, die Einnahme zu überwachen. Wie stellen sich die Antragsteller das weitere Prozedere vor? Soll der Suizident sich die Medikamente besorgen und den richtigen Zeitpunkt zu Hause abwarten, der hoffentlich nie kommen mag? Vielleicht fände dann jemand anderes die giftige Medizin oder sie ließe sich auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Der Ablauf des Suizids wird durch die Antragsteller nicht zu Ende gedacht. Notwendig erscheint, dass entweder Hospize oder Kliniken den Suizid bis zur Vollendung begleiten oder dass der verschreibende Arzt die Einnahme des Gifts mit eigenen Augen überwacht.

Wünschenswert erscheint auch eine präferierte Haftungsregel für die hier in schwerer Situation tätigen Beratungsstellen und Ärzte. Es wär nicht auszuschließen, dass Ehepartner und Kinder Berater und Ärzte in Regress nehmen, so sie denn vermuten, das andere Elternteil wäre in den Tod getrieben worden oder hätte beim Suizid erkennbar nicht alle Sinne beisammen gehabt. Schon die Neuregelungen für häuslich tätige Hebammen hat gezeigt, dass die marktwirtschaftlich gebildeten Versicherungsbeiträge schnell ins Unermessliche steigen können. Eine Haftung könnte beispielweise für ein fahrlässig falsches Handeln oder Unterlassen der Berater und Ärzte, das zum Suizid führt, in der Höhe begrenzt oder gar ausgeschlossen werden.

Nicht zuletzt ist zu regeln, wer die Beratungsstellen, die Medizin und die Suizidbegleitung zu bezahlen hätte. Wohl kaum kann es sich um eine reine Privatleistung handeln, die es armen Menschen nicht gestatten würde, die Beihilfe zum Suizid in Anspruch zu nehmen. Im Gesetzentwurf wird lediglich geregelt, dass die Länder die Beratungsstellen zu finanzieren hätten. Weiterhin könnten die Rentenversicherungen und Krankenversicherungen für eine Finanzierung der Medikation und Sterbebegleitung in Frage kommen.

Ungeregelt bleiben Situationen, in denen nicht mehr selbstbestimmt handelnde Menschen Patientenverfügungen vorweisen können, in denen sie sich ein Lebensende für klar bestimmte Situationen wünschen. Da der Suizident sowohl beim Berater als auch beim Arzt seine autonome Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen muss, sind durch Verfügung vorbestimmte Suizide nicht vorgesehen. Dies ist bedauerlich. Viele Menschen wünschen sich beispielsweise nicht erleben zu müssen, ihre eigenen Verwandten nicht mehr erkennen zu können. Es ist keine Euthanasie, einen Menschen zum Suizid zu verhelfen, den er für sich selbst unter klar definierten Umständen vorausbestimmt hat.

Berechtigterweise herrscht eine bedeutende Skepsis gegenüber Beratungen durch Personen, die möglicherweise von der Durchführung des Suizids profitieren. Dieser Generalverdacht ist für Schwerstkranke in Kliniken in der Regel unangebracht. Kliniken verdienen zweifellos weniger an Schwerstkranken, die ihr Siechtum mit Suizid beenden, als an denen, die ein Klinikbett bis zum natürlichen Tod belegen. Überdies dürften klinische Angebote der Sterbebegleitung von Suizidenten nur geringste Umsatzanteile ausmachen. Ungeachtet dessen ist es Sterbewilligen zu wünschen, dass ihnen eine professionelle Sterbehilfe und mit allen Annehmlichkeiten ausgestattete Sterbeumgebungen zu Teil wird, die auch etwas kosten kann. Ausreichend wäre es insofern, die Umsatzanteile aus Suizidbegleitung zu begrenzen und diese den Ärzten für ihre Zielrichtungen nicht anzurechnen.

In allen Szenarien bliebe die Autonomie des Suizidenten durch die Ablehnung der Suizidhilfe durch den Arzt oder das Ärztegremium beeinträchtigt. Auch mit liberalem Blick auf die Problematik erscheint diese Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts hinnehmbar zum Schutze von Personen, deren Fähigkeit zur autonomen Selbstbestimmung nicht gegeben ist. So stellt sich auch die Frage des Rechtswegs bei verweigerter Suizidhilfe. Wird der Wunsch eines Suizidenten vom Arzt abgelehnt, stünde ihm der Rechtsweg offen. Der Arzt ist mit der Beratung des Suizidenten bereits einen privatrechtlichen Vertrag eingegangen, der grundsätzlich beide Optionen – Suizid oder kein Suizid – offenhält. Gleichwohl kann der Arzt nicht gegen sein Gewissen gezwungen werden, einen Suizid zu befördern. Entsprechend müssten Gerichte – erforderlichenfalls mit Hilfe von Gutachtern – ersetzende Entscheidungen für die Ärzteschaft treffen können. Auch hier gibt es Regelungsbedarf.

Wünschenswert wäre auch eine Regelung hinsichtlich des Eintritts von Versicherungsfällen. Versicherungen auf Tod und weitere, die bei Tod leisten, schließen regelmäßig den Suizid als Versicherungsfall aus, sofern er nicht unter geistiger Verwirrung erfolgte. Ist der Suizid allerdings der vorweggenommene Tod, der bei Schwerstkranken in absehbarer Zeit ehedem eingetreten wäre, sollte dies die Versicherungsleistung nicht beeinträchtigen. Hier wäre es hilfreich, den beratenden Arzt zu einer Aussage des ansonsten zu erwartendem Todeszeitpunkt zu verpflichten und ihn zugleich vor Haftungsansprüchen der Versicherer zu schützen.

Insgesamt ist der Gesetzesentwurf sehr zu begrüßen, denn er entfacht eine überfällige Diskussion erneut, die einer dauerhaften Lösung alsbald zuzuführen ist. Gleichwohl weist der Entwurf eine Reihe von Schwächen auf, die in der Konsolidierung mit weiteren Vorschlägen auszubessern wären. Insgesamt erscheint der von den Entwurfsverfassern verfolgte Beratungsansatz überkomplex, teuer und nachteilig gegenüber einem Ansatz, in dem ein ehedem erforderliches Ärztekollegium die Beratung und die Suizidhilfe in sich vereint.


  1. Der Gesetzesentwurf der Bundestagsabgeordneten von Bündnis90/Die Grünen Künast und Keul liegt dem Verfasser nicht vor.
  2. Gesetzentwurf ist auf nachstehender Internetseite verlinkt: https://www.helling-plahr.de/home.

 

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