Ist Kritik an Target 2-Salden Populismus?

Kürzlich hat der Bundesbankvorstand Joachim Wuermeling den Kritikern der hohen Target 2-Forderungen der Bundesbank gegenüber der Europäischen Zentralbank Populismus und Falschinformation vorgeworfen: „Die besondere Gefahr entsteht nun, wenn sich Populisten Fake News bedienen und sie für ihre Zwecke einsetzen“.[1] Diesem Vorwurf an die Kritiker der Europäischen Zentralbank werde ich hier nachgehen. Zunächst werde ich darüber aufklären, was es mit den Target 2-Salden auf sich hat und sodann auf die daraus möglicherweise entstehenden Gefahren eingehen.

Höhe der Target 2-Salden

Ende März 2019 weist die Deutsche Bundesbank eine Forderung gegen die Europäische Zentralbank („EZB“) aus dem Target 2-Zahlungssystem von über 941 Mrd. Euro aus.[2] Diese Forderung entspricht etwa den Bundeshaushalten für drei Jahre, knapp der Hälfte der gesamten deutschen Staatsschulden und knapp einem Drittel des deutschen Bruttoinlandsprodukts mit Stand 2017. [3] Der gesamte Kreditbestand gegenüber privaten Haushalten und Unternehmen lag Ende März bei knapp 3 Billionen Euro, also etwa dem Dreifachen der Target 2-Forderung.[4] Die gesamte Geldmenge für die Eurozone wird auf 12,44 Billionen Euro und für Deutschland auf 2,92 Billionen Euro per Ende Februar 2019 geschätzt, also etwa dem 13-fachen beziehungsweise dem Dreifachen des deutschen Target 2-Saldos.[5] Unbestritten – die Proportionen zeigen es – handelt es sich bei den Target 2-Forderungen der Bundesbank um einen gigantisch hohen Geldbetrag.

Kritik an den Target 2-Salden

Was sagen die Kritiker und Populisten und wie greifen sie das Europäische System der Zentralbanken (abgekürzt „ESZB“, englisch „ESCB“) an? Der prominenteste Kritiker deutscher Target-Forderungen ist der vormalige Präsident des Münchner ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und emeritierte Professor für Ökonomie Hans Werner Sinn. Sinn sind folgende Aussagen zuzuschreiben, die ich nach dem Spiegelstrich plakativ nach meiner eigenen Lesart zuspitze:

  • Ein Vollverlust ist möglich.“[6] – die Deutsche Bundesbank könnte also unfassbar viel Geld verlieren.
  • „Überweisungen zwischen den Ländern können auch durch private Banken und Clearingsysteme erledigt werden. Die Bundesbank muss sich nicht ins Risiko begeben.“ [7] – die Europäische Zentralbank hätte den Zahlungsverkehr anders organisiert müssen, um diese Risiken zu vermeiden.
  • „Ja, die Target-Salden müssten bei Austritt eines Landes oder gar eines Kollapses des Eurosystems abgeschrieben werden und die Bundesbank sähe sich einer riesigen Überschuldung gegenüber, schließlich verfügt sie nur über wenig Eigenkapital und der Staat müsste sie rekapitalisieren.“[7] – Bei einem Austritt Italiens müsste der deutsche Steuerzahler diese gigantische Summe aufbringen, um die Deutsche Bundesbank zu retten.

Thomas Mayer, Direktor Flossbach von Storch Research Institut, sagt:

  • „Über das Zahlungssystem Target 2 werden der Bundesbank enorme Risiken aufgebürdet“[6] – Die gigantischen Risiken schultert also die Deutsche Bundebank.

Aus der politischen Rechten werden die Target-Salden gegen den Euro und gegen die EU als Haftungsunion instrumentalisiert. So sagte Alice Weidel, Ko-Fraktionsvorsitzende der AfD:

  • „Dieser Haftungswahnsinn muss endlich beendet werden, sonst ist der große Knall innerhalb der Eurozone nur noch eine Frage der Zeit.“[8] – Die Eurozone wird von Wahnsinnigen geleitet, die den Zusammenbruch des Euros heraufbeschwören.
  • „Seit Beginn der Eurokrise wird [TARGET 2] missbraucht, um Handelsbilanzdefizite und Kapitalflucht aus den Euro-Südländern zu kaschieren. Das Risiko dabei trägt allein die deutsche Bundesbank und damit letztlich der deutsche Steuerzahler.“[8] – Target 2 wird zweckentfremdet, um Defizite der Südländer zu verstecken. Die daraus entstehenden Risiken trägt der dumme deutsche Michel.

Aus dem linken Spektrum und der Bundesbank wird entgegengehalten, dass die Target-Salden selbst bei einem EU-Exit eines Target 2-Schuldners bedeutungslos wären, da es sich lediglich um elektronische Verrechnungssalden handele:

  • „Bloß in Deutschland gibt es ein paar Leute, die aus einem rein statistischen Phänomen eine Angstdebatte machen“, sagt Gerhard Schick, vormaliges Mitglied des Bundestags von Bündnis 90/Die Grünen und deren finanzpolitischer Sprecher.[9] – Target-Salden seien also eine Chimäre ohne weiteren Belang.
  • “Solange das Eurosystem unverändert fortbesteht, sind die Target 2-Salden nicht risikobehaftet”, meint Johannes Beermann, “Zudem wäre auch in dem Extremfall, dass ein Land mit hohen Target 2-Verbindlichkeiten die Währungsunion verlässt, die Höhe der Target 2-Forderungen der Bundesbank für das damit verbundene Risiko unerheblich”, so der früherer CDU-Politiker und Vorstand der Bundesbank verantwortlich für den Zahlungsverkehr.[10] – Selbst in dem Fall, dass das Eurosystem in heutiger Form nicht fortbesteht, ist das Risiko aus den Target-Forderungen für die Deutsche Bundesbank bedeutungslos.

Wie entstehen Target-Salden?

Die Entstehung von Target-Salden lässt sich an einem Beispiel einfach erklären. Überweist ein Kunde einer italienischen Bank einen Geldbetrag an einen Kunden einer deutschen Bank, dann finden – stark vereinfacht dargestellt – folgende Transaktionen und Buchungen statt:

  1. Das Girokonto des italienischen Kunden wird mit dem Überweisungsbetrag bei seiner italienischen Geschäftsbank belastet.
  2. Das Zentralbankkonto der italienischen Geschäftsbank bei der italienischen Zentralbank Banca d’Italia wird in gleicher Höhe belastet.
  3. Die Deutsche Bundesbank schreibt der Geschäftsbank des deutschen Kunden den Betrag auf ihrem Zentralbankkonto gut.
  4. Die deutsche Geschäftsbank schreibt ihrem Kunden den Betrag auf seinem Girokonto gut.
  5. Am Tagesende werden aus allen Überweisungen des Target 2-Systems zwischen den Euro-Zentralbanken die Salden aus den Schritten 2 und 3 gegeneinander aufgerechnet.
  6. Die aus Schritt 5 verbleibenden Salden werden bei den Zentralbanken als Forderungen und Schulden gegen die Europäische Zentralbank gebucht.

Im nachstehenden Schaubild werden die Veränderungen der Bilanzen der beteiligten Zentral-/Banken für das Beispiel einer Auslandsüberweisung vereinfacht dargestellt. Auf den linken Seiten sind in blauer Schrift die Vermögenswerte (Aktiva) und auf den rechten Seiten in roter Schrift die Verbindlichkeiten (Passiva) der beteiligten Banken aufgeführt, die durch eine Auslandsüberweisung verändert werden. Die Überweisung in Höhe von 100 Euro erhöht oder vermindert die entsprechenden Bilanzpositionen, deren jeweiliger Ausgangswert links vor der Veränderung um 100 Euro steht. Zum Beispiel weist das Zentralbankguthaben der italienischen Geschäftsbank vor der Überweisung ein Guthaben von 1 Milliarde Euro auf, welches als Forderung auf der Aktivseite bei der Geschäftsbank und als Schulden auf der Passivseite bei der Banca d’Italia ausgewiesen wird. Dieses Guthaben wird nach obigem Schritt Nummer 2 um 100 Euro vermindert. Usw. usf. Die Bilanzen sind in dem Beispiel nicht ausgeglichen, da diese nicht vollständig dargestellt sind. Jedoch saldieren sich die Änderungen um 100 Euro in jeder Bilanz durch Bilanzverlängerung, -kürzung oder Passivtausch zu Null.

In Bezug auf die Target-Salden sind bei der Banca d’Italia und bei der Deutschen Bundesbank die jeweils untere Bilanzposition zu beachten. Für die Banca d’Italia steigt die Verbindlichkeit gegenüber der Europäischen Zentralbank und für die Bundesbank die Forderung jeweils um den Überweisungsbetrag. Dies sind die Target 2-Salden, die durch den Zahlungsverkehr mit dem Ausland entstehen und sich entsprechend den wirtschaftlichen Begebenheiten entwickeln.

Wäre die Europäische Zentralbank nur eine einzige, legale Entität bestehend aus allen nationalen Notenbanken, die selbst nur bloße Zweigstellen ohne eigene Rechtspersönlichkeit wären, hätte jede Geschäftsbank im Euroraum ihr Zentralbankkonto einzig und allein bei der Europäischen Zentralbank und nicht bei der jeweiligen Notenbank. Dann würden sich die Verbindlichkeiten und Forderungen aus Target 2 nicht nur gegenseitig aufheben, sie würden erst gar nicht entstehen. Anhand der konzernähnlichen Struktur des Europäischen Systems der Zentralbanken werden die Geldflüsse zwischen den nationalen Zentralbanken („NZB“) aber so abgebildet, als seien sie legal eigenständige Tochterunternehmen der Europäischen Zentralbank, die ein zentrales Liquiditätspooling für die beteiligten Notenbanken des Europäischen Systems der Zentralbanken vornimmt. Und in der Tat sind die nationalen Zentralbanken eigenständig verantwortliche und haftende Institutionen des Heimatstaats, gleichwohl sie in den ESZB eingebunden und seinen Regeln unterworfen sind.

Rechtliche Grundlagen der Target-Salden

 

Die EZB-Leitlinien 2013/47/EU über TARGET 2 regeln in Artikel 6 die Wandlung der zwischen den nationalen Zentralbanken entstehenden Salden aus dem Zahlungsverkehr in Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber der EZB.

An dieser Stelle wird von Target 2-Forderungen und Verbindlichkeiten gesprochen, also nicht von statistischen Verrechnungsgrößen. Bemerkenswert ist nicht die Regelung in der Leitlinie, sondern dass eben jene automatisch entstehenden Forderungen und Verbindlichkeiten in keinem Gesetz oder Staatsvertrag geregelt werden, sondern lediglich in einer „Leitlinie“ und einer „Vereinbarung“ zwischen den nationalen Zentralbanken. Für das Entstehen von Schulden gigantischen Ausmaßes, für die möglicherweise der Steuerzahler einzustehen hätte, erscheint die rechtliche Grundlage dünn.

Wie entstanden die gigantischen Target-Salden?

Fraglich ist nun, wie es passieren konnte, dass die Target 2-Forderungen der Bundesbank auf knapp 1 Billion Euro und die Target 2-Verbindlichkeiten der Banca d’Italia auf knapp ½ Billion Euro per Ende März 2019 ansteigen konnten. Im Wesentlichen haben dazu drei Gründe beigetragen:

  1. Kapitalflucht – während der Banken- und der Finanzmarktkrise haben die Bürger und Unternehmen der Krisenländer beträchtliche Gelder in solventere Länder, insbesondere nach Deutschland und Luxemburg, transferiert, sei es zum Zwecke der Geldanlage bei deutschen Banken und Investmentgesellschaften oder für den Erwerb von Gütern.
  2. Leistungsbilanzüberschuss – die hohe Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft kann nicht durch einen steigenden Wechselkurs der „Deutschen Mark“ nivelliert werden. Viele deutsche Industrie- und Konsumprodukte sind daher „zu günstig“, wenn nicht gar konkurrenzlos günstig, auf den europäischen Märkten und werden dadurch stärker nachgefragt. In Folge des hohen Nachfrageüberschusses nach Gütern und Dienstleistungen aus Deutschland werden entsprechende Gelder aus dem europäischen Ausland nach Deutschland transferiert.
  3. Ankauf von Staatsanleihen – im Zuge des sogenannten Quantitative Easening der Europäischen Zentralbank, also einer lockeren Geldpolitik mit Hilfe von Offenmarktgeschäften, haben die nationalen Zentralbanken Anleihen ihrer Staaten an den Rentenmärkten angekauft, um Geld zu schöpfen. Da die Verkäufer zu einem nicht unbedeutenden Teil ihre Bankverbindungen in Frankfurt und in Luxemburg haben, kam es zum Transfer von Zentralbankgeld nach Deutschland und Luxemburg.

Sind die Target-Salden in den Bilanzen der Zentralbanken zu erkennen?

Die Konsequenzen lassen sich an den disaggregierten Bilanzen der nationalen und europäischen Notenbanken ablesen, wie in den nachstehenden Bilanzen farblich kenntlich gemacht.[11] Auf der Aktivseite („Assets“) sehen wir die Anleihekäufe unter dem Bilanzposten 7 Securities, der im Eurosystem mehr als die Hälfte der gesamten Bilanz ausmacht. Die Target 2-Forderungen der Bundesbank und der Zentralbank von Luxemburg sind unter Intra-Eurosystem Assets zu finden. In dieser Bilanzposition weisen Spanien und Italien ebenfalls Forderungen (grüne Schrift) auf, die aber aus einer unterproportionalen Ausgabe von Banknoten resultieren. In der Bilanzposition 5 Lending werden die Kredite an die heimischen Banken erfasst.

Auf der Passivseite („Liabilities“) sehen wir die höheren Bargeldumläufe für Deutschland und Luxemburg einerseits in 1 Banknotes und andererseits in den Intra-Eurosystem Liabilities (grüne Schrift). In dieser Position werden für Spanien und Italien die Target 2-Verbindlichkeiten gezeigt.

Unter der Position 2 Liabilities sind die Einlagen der heimischen Banken bei den Zentralbanken zu finden. Einerseits müssen Banken ihre Mindestreservepflicht und ihre jederzeitige Zahlungsfähigkeit sicherstellen, aber parken andererseits auch überschüssige Liquidität. Diese wird derzeit mit einem Strafzins belegt, der schon seit März 2016 bei -0,4% liegt.

Es fällt ins Auge, dass die bei Banken vorhandene Liquidität in Deutschland und Luxemburg höher als in Spanien und Italien ausfällt (Passivseite 2 Liabilities), und die spanischen und italienischen Banken entsprechend überproportional bei ihren Zentralbanken verschuldet sind (Aktivseite 5 Lending). Luxemburg ist zwar eine relativ kleine Volkswirtschaft, ist aber aufgrund seines großen Finanzsektors in den Statistiken der EZB mit großen Zahlen vertreten.

Dem geneigten Leser fällt sicher auf, dass das Eigenkapital einschließlich der Rücklagen unter der Position 12 Capital (in blauer Schrift) geradezu minimal ausfällt. In der freien Wirtschaft wären Hebel von über 300 von Verbindlichkeiten zu Eigenkapital, wie für die Bundesbank, sicher nicht möglich.

Bilanzierung von Staatsanleihen bei der EZB und nationalen Notenbanken

Die von der EZB und den NZB angekauften Staatsanleihen sind naturgemäß nicht ohne Risiko, wie uns zuletzt Griechenland vor Augen geführt hat. Dieses Risiko drückt sich aus in steigenden Anleihezinsen beziehungsweise Kreditmargen, fallenden Anleihepreisen, schlechteren Ratingnoten, höheren Ausfallwahrscheinlichkeiten und in Folge dessen auch höheren Wertberichtigungen in den Bilanzen der Inhaber der Anleihen. Gleichermaßen wären auch die Target-Forderungen gegen die EZB und seitens der EZB gegen die NZB zu beurteilen. Wird solchen Risiken auch in den Bilanzen der EZB und der NZB hinreichend Rechnung getragen?

Die Quotierungen von Staatsanleihen unterliegen täglichen Schwankungen. Steigen die Zinsen beziehungsweise die aktuellen Kreditmargen, dann sinkt der Preis. In Krisenzeiten sacken die Preise schnell und deutlich ab, die Renditen für die betroffenen Staatsanleihen steigen deutlich, um die Investoren beziehungsweise neue Käufer für das höhere Ausfallrisiko zu kompensieren.

Unternehmen in Deutschland erstellen ihre Bilanz nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs, so auch Konzerne, außer sie sind am Kapitalmarkt aktiv, dann wird die Konzernbilanz nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) aufgestellt. Auch die Bilanzierung der Zentralbanken folgt bekannten Prinzipien, die den nationalen und internationalen Bilanzierungsstandards zugrunde liegen. Allerdings gibt es Abweichungen im Detail und die Konsequenzen aus der Bilanzierung sind anders gelagert.

Der EZB-Rat beschließt über die Bilanzierungsregeln der ESZB-Zentralbanken in der Guideline (EU) 2016/2249 und über Abweichungen für die EZB in der Decision (EU) 2016/2247. Die Ermächtigung hierzu hat der EZB-Rat aus Protokoll Nr. 4 Über die Satzung des ESZB und der EZB des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV), hier Artikel 12.1, 14.3, 26.2 und 26.4.

Anleihen aus dem Ankaufsprogram für Zwecke der Währungspolitik werden zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertet. In Artikel 9 Absatz 4 der Decision, der sich gleichlautend auch in Artikel 9 Absatz 5 der Guideline wiederfindet, heißt es:

Ist die Anleihe im Wert gemindert, also durch latent erhöhte Kreditrisiken belastet, ist eine Wertberichtigung zu bilden. Da keine konkreten Regeln zur Bildung von Wertberichtigungen existieren, erfolgt gemäß Artikel 28 der Guideline für die nationalen Zentralbanken die Anlehnung an EU-Recht zur Bilanzierung für Banken beziehungsweise an die allgemein anerkannten Bilanzierungsregeln und nach Artikel 25 der Decision für die EZB der Rückgriff auf die International Financial Accounting Standards (IFRS).

Richtlinien (Guidelines) sind kein unmittelbar geltendes Recht für die NZB und von den Nationalstaaten in eigenes Recht oder von den NZB in eigenen Beschlüssen umzusetzen (gemäß Artikel 131 AEUV und Artikel 14.3 des Protokolls Nr. 4). Entsprechend findet sich beispielsweise in § 26 Absatz 2 des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank die Maßgabe des Rückgriffs auf das Handelsgesetzbuch für all die Bilanzierungssachverhalte, die nicht durch Spezialvorschriften des ESZB bereits bestimmt sind, allerdings nur für „Wertansätze“. Ansonsten richtet sich die Bundesbank nach den Grundsätzen der Rechnungslegung der EZB, welche sie sich selbst aufgegeben hat.[12]

Ohne weiter auf die Details einzugehen ist festzuhalten, dass sowohl die nationalen Notenbanken als auch die Europäische Zentralbank bei latent vorhandenen Risiken, also insbesondere falls ein Bankrott des Schuldners droht, Wertberichtigungen auf die Anleihen zu bilden haben. Dies führt zu bilanziellen Verlusten. Droht also ein Staatsbankrott eines Euro-Landes, sind dessen Anleihen im Wert zu berichtigen und der Wertberichtigungsbetrag bei der betreffenden Zentralbank als Aufwand zu erfassen.

Nach der neuen Systematik des International Financial Reporting Standards 9 sind Kreditrisiken allerdings schon viel früher als Wertberichtigungen zu erfassen als vor dem Eintritt latenter Ausfallrisiken. Solange die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Schuldners sich in normalen Bahnen bewegt, ist bereits am ersten Bilanzstichtag nach Zugang der Forderung eine Wertberichtigung in Höhe des erwarteten Verlusts für ein Jahr zu bilden; in der Regel ist der Betrag geringer als die Kreditmarge eines Jahres, sie entspricht genau genommen dem erwarteten Verlust über die kommenden zwölf Monate. Sobald sich die Kreditwürdigkeit seit Herauslage des Kredits signifikant verringert hat – oft wird von einer Verschlechterung um mehr als zwei Ratingteilnoten („notches“, also zum Beispiel von „AA“ auf „A“ in S&P’s Notengebung) gesprochen – sind die erwarteten Verluste aus Ausfallrisiken über die gesamte Laufzeit der Forderung als Barwert vollständig im Werte zu berichtigen. Die Systematik wurde verschärft, da insbesondere Kreditinstitute während der Finanzmarktkrise zu spät und zu wenig Wertberichtigungen gebildet haben („too late and too little“). Es bleibt abzuwarten, ob bei der EZB hohe Wertberichtigungen verzeichnet werden, sobald Schuldner sich in der Kreditqualität signifikant verschlechtern.

Auch im deutschen Handelsrecht zeichnen sich Änderungen ab. Das Institut der Wirtschaftsprüfer ist gerade dabei, den Rechnungslegungsstandard für Pauschalwertberichtigungen zu aktualisieren (unter dem Namen des zuständigen Bankenfachausschusses als „BFA 7“). Im Grunde gehen die Forderungen der Wirtschaftsprüfer in die gleiche Richtung wie die IFRS 9, aber sie gestatten eine Verrechnung der erwarteten Kreditverluste über die Laufzeit der Forderung mit dem Barwert der generierten Kreditmargen. Diese Vorgehensweise wurde seinerzeit vom International Accounting Standards Board („IASB“) verworfen. Ungeachtet dessen werden auch die Wertberichtigungen nach HGB höher und zeitnaher ausfallen, sobald der derzeit in der Abstimmung befindliche IDW RS BFA 3 schließlich in Kraft tritt. Dann müsste auch die Bundesbank früher und höhere Wertberichtigungen auf Anleihen bilden. Bis dahin bleibt es bei den gemäß deutscher Bilanzierungspraxis tendenziell geringeren Pauschalwertberichtigungen, die erst beim Umschlag in eine Einzelwertberichtigung das Risiko vollständig und konservativ abdecken.

Die vorstehend skizzierten Regelungen nach IFRS und HGB gelten für Wertpapiere, Kredite und Forderungen, die zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertet werden. Hierunter fallen mithin auch die Forderungen der Bundesbank an die EZB und die der EZB an die NZB.

Umgang mit Gewinnen bei der EZB und der Bundesbank

Da die Verluste aus Wertberichtigungen auf Staatsanleihen die Gewinne aufzehren und somit auch eine Ausschüttung der EZB an die NZB und von den NZB an ihre Heimatstaaten verhindern könnten, ist es wichtig zu betrachten, wie die Zuteilung von Gewinnen und Verlusten geregelt ist. Letztlich war es ein Vorwurf der vermeintlichen Populisten, dass durch die Verluste aus einer Abschreibung der Target 2-Forderungen der Bundesbank die Bundesbank über eine unbestimmte Ewigkeit nicht in der Lage sein würde, das Finanzministerium mit ihrer jährlichen Ausschüttung zu beglücken, die in den Bundeshaushalten fest eingeplant ist.

Artikel 129 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) bestimmt die Satzung des ESZB und der EZB gemäß dem beigefügten Protokoll Nr. 4. Artikel 33 des Protokolls Nr. 4 zum AEUV regelt die Gewinnverteilung. Der EZB-Rat kann beschließen, bis zu 20% des Gewinns in die Reserven einzustellen. Der übrige Gewinn wird gemäß den Anteilen an die Anteilseigner, also die nationalen Notenbanken des Euroraums, ausgeschüttet.

Der Reservefonds als Bestandteil des Eigenkapitals dient der Deckung von Verlusten. Es besteht darüber hinaus jedoch keine gesetzliche Vorgabe, dass Jahresüberschüsse gegen einen Verlustvorträge aus der Vergangenheit zu verrechnen sind. Jedoch entspricht eben dies allgemein anerkannten kaufmännischen Prinzipien. Nichtsdestotrotz, eine gesetzliche Pflicht zur Verrechnung von Gewinnen mit Verlustvorträgen gibt es für die EZB nicht.

Aus den währungspolitischen Aufgaben fallen bei den nationalen Notenbanken in der Regel weitere Gewinne an, die summiert und dann an die Zentralbanken gemäß ihren Anteilen zurück verteilt werden, vgl. Artikel 32.

Für die Bundesbank wird die Gewinnverwendung in § 27 Bundesbankgesetz wie folgt geregelt:

Ein Teil des Gewinns ist für die Auffüllung der gesetzlichen Rücklage vorgesehen. Da die gesetzliche Rücklage bereits voll aufgefüllt ist, schüttet die Bundesbank den Gewinn seither immer vollständig aus. Sie kann aber zuvor gewinnmindernd Rückstellungen für allgemeine Wagnisse nach § 26 Absatz 2 Bundesbankgesetz bilden, also relativ frei den Gewinn schmälern. Aufgrund eines Sondereffekts aus der Unterdeckung der Pensionsrückstellungen hält die Bundesbank auch einen Teil des Gewinns als ausschüttungsgesperrte Rücklage im Sinne des § 253 HGB zurück, obgleich das HGB nach dem Bundesbankgesetz nur für Wertansätze gilt, nicht für eine Ausschüttungssperre.

Umgang mit Verlusten bei der EZB und Bundesbank

Artikel 33 des Protokolls 4 zum AEUV besagt, dass Verluste der EZB gegen den Reservefonds aufgerechnet werden. Das muss der EZB-Rat allerdings erst beschließen („kann“). Erst hiernach („erforderlichenfalls“) können die aggregierten Einkünfte der ESZB-Zentralbanken herangezogen werden, wenn dies der EZB-Rat wiederum so beschließt. Die gemeinten Einkünfte der nationalen Notenbanken resultieren aus ihren währungspolitischen Aufgaben im Rahmen des ESZB, umfassen aber nicht alle Gewinne und Verluste der nationalen Zentralbanken.

Im Gesetz werden keine weiteren Ausführungen zu Verlusten gemacht, insbesondere nicht für Fälle, in denen Verluste den Reservefonds und die Einkünfte der Notenbanken oder gar das Eigenkapital der EZB übersteigen. Typischer Weise wird in solchen Fällen ein Verlustvortrag als negativer Eigenkapitalposten gebildet. Ein Verlustvortrag wird dann in den Folgejahren solange mit Gewinnen verrechnet, bis die Verluste aufgerechnet sind. Auch wäre es möglich, eine fiktive Ausgleichsforderung zur Eliminierung des Verlusts zu buchen (analog zu § 268 Absatz 3 HGB) und diese über einen längeren Zeitraum gegen Überschüsse zu verrechnen beziehungsweise verlustwirksam abzuschreiben (Steuereffekte sind für Zentralbanken nicht relevant). Fazit ist, dass die Gesetzeslage es der EZB erlaubt, Gewinne trotz Verlustvorträgen an die nationalen Zentralbanken auszuschütten und Verluste bis in alle Ewigkeit vorzutragen.

Auch bei der Bundesbank gibt es keine erschöpfenden gesetzlichen Grundlagen für einen Umgang mit Verlusten und Verlustvorträgen. § 27 Bundesbankgesetz erfordert zunächst die Verrechnung eines Verlusts mit der gesetzlichen Rücklage, die aber mit 2,5 Milliarden Euro recht bescheiden ausfällt und bei einschneidenden Verlusten aus Staatsbankrotten schnell aufgezehrt sein dürfte. Hiernach muss die Bundesbank auf allgemein anerkannte Bilanzierungsgrundsätze zurückgreifen. Diese würden es erfordern, die Verluste – soweit sie nicht gegen die Rückstellungen für allgemeine Wagnisse verrechnet werden können – im Eigenkapital vorzutragen oder eine Ausgleichsforderung zu bilden. Allerdings machen die Bilanzierungsgrundsätze keine Vorgaben zu eine etwaigen Ausschüttungssperre für Gewinne der Folgejahre. Da die Maßgabe des Rückgriffs auf das HGB lediglich für Wertansätze gilt, lässt sich auch aus den handelsrechtlichen Vorschriften keine Ausschüttungssperre ableiten.

Was passiert bei einer Überschuldung einer Notenbank?

Bilanzielle Jahresüberschüsse erhöhen das Eigenkapital oder die Dividenden und Jahresfehlbeträge vermindern das Eigenkapital. Je geringer das Eigenkapital ausfällt, desto schlechter ist die Solvenz des Unternehmens. Reicht das Eigenkapital nicht aus, um die Verluste zu tragen, tritt die Überschuldung ein und das Unternehmen muss Insolvenz anmelden.

Diese Logik gilt nicht für Zentralbanken. Zentralbanken können ohne Einschränkungen mit negativem Eigenkapital weiter operieren.[13] Eine Überschuldung einer Zentralbank kann zwar auf dem Papier eintreten, hat aber keine unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen außer einem Vertrauensverlust. Auch sind die Mitgliedsstaaten zu keiner Rekapitalisierung der EZB verpflichtet, und Deutschland auch nicht zur Rekapitalisierung der Bundesbank.

Treten also hohe Verluste aus Wertberichtigungen der Target-Forderungen oder der angekauften Staatsanleihen bei der EZB oder der Bundesbank auf, bliebe es in das Ermessen der Zentralbanken gestellt, zukünftige Gewinne gegen die Verlustvorträge zu verrechnen oder auch nicht, mithin Gewinne trotz Verlustvorträgen auszuschütten oder auch nicht.

Ist ein Austritt Italiens aus dem Euro möglich?

Die Europäische Währungsunion („EWU“) sieht kein eigenes Kündigungsrecht vor. Die Wiener Konventionen über das Vertragsrecht der Staaten gestattet, unter bestimmten Umständen Verträge zu kündigen, die vertraglich keine Kündigung vorsehen. Allerdings ist die Europäische Währungsunion kein eigenständiger Vertrag, sondern ein eingebetteter Bestandteil des Vertrags über die EU, für den es kein Teilkündigungsrecht gibt. Die Wiener Konvention sieht auch keine Teilkündigungen von Verträgen vor, nur im Vertragsganzen und nur, wenn es keine ordentliche Kündigungsmöglichkeit gibt.

Für eine Kündigung der Mitgliedschaft in der EU muss die Wiener Konvention nicht bemüht werden, denn der Austritt ist nach Artikel 50 des Vertrags über die EU möglich, wie uns Großbritannien vorgeführt hat. Der Exit führt zwangsläufig auch zum Austritt aus dem ESZB beziehungsweise dem Euro, da nur EU-Staaten Mitglied der Währungsunion sein können.

Ausschließlich durch Austritt aus der EU besteht für Italien und jeden anderen Euro-Mitgliedsstaat des ESZB die Möglichkeit, den Euro zu verlassen. Auch gibt es keine Möglichkeit, einen Mitgliedsstaat aus dem Euro oder der EU auszuschließen. Jederzeit wäre es den Mitgliedsstaaten natürlich möglich, die Verträge anzupassen und einen Staat geordnet aus dem Euro zu entlassen, ohne dass dieser aus der EU austreten müsste. Dies erfordert allerdings die Einstimmigkeit und einen langwierigen Ratifizierungsprozess der Vertragsänderung in jedem Mitgliedsstaat.

Mangels wirksamer Zwangsmittel gegen einen Mitgliedsstaat könnte ein Euro-Mitglied unter Verletzung der Verträge allerdings eine Parallelwährung einführen und diese neben dem Euro betreiben.[14] In vielen Entwicklungsländern bestehen Regime aus zwei oder mehr Währungen, typischerweise der lokalen Währung und ein oder zwei Hartwährungen. Die Banken in diesen Ländern bieten in der Regel Konten für die gängigen Währungen an und führen in diesen auch den Zahlungsverkehr aus.

Sollte Italien oder ein anderer Mitgliedsstaat tatsächlich die EWU verlassen wollen, wäre es sogar anzuraten, zunächst eine Parallelwährung aufzubauen, und erst dann den Euro abzuschaffen. Auf vertragstreuem Wege funktioniert dies nur über eine Änderung der Europäischen Verträge.

Stellt der Ankauf von Anleihen durch Zentralbanken Staatsfinanzierung dar?

Grundsätzlich ist die Finanzierung der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union durch ihre Notenbanken oder durch die EZB verboten. Artikel 123 Absatz (1) des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) verbietet die Staatsfinanzierung. Erlaubt ist hingegen der Erwerb von Schuldtiteln (Anleihen) von Dritten, wie Banken, Fonds, Versicherungen, nachdem die Staaten diese bereits am Primärmarkt emittiert haben.

Theoretisch könnte die EZB eine Sekunde, nachdem eine Geschäftsbank die Emission eines Staates gezeichnet und erworben hat, die Anleihe von dieser Bank abkaufen. Es wäre sogar möglich, dass eine öffentliche Geschäftsbank vom Staat dazu veranlasst wird, am Primärmarkt die Emission des eigenen Staates zu zeichnen, und diese später im Offenmarktprogramm an die EZB zu verkaufen. Die öffentliche Geschäftsbank wäre ihrerseits ausgenommen vom Finanzierungsverbot durch die EZB. Sie dürfte also Mittel bei der EZB gegen die Stellung von Sicherheiten aufnehmen, um Staatsanleihen am Primärmarkt zu erwerben.

Eine Umgehung des Verbots der Staatsfinanzierung ist der EZB und den nationalen Zentralbanken gleichwohl nicht gestattet, wie zum Beispiel die Verabredung zum Abkauf der Emission von einer Geschäftsbank vor Erwerb durch diese am Primärmarkt. Die Umgehungstatbestände werden allerdings nur kursorisch durch die EU beziehungsweise die EZB konkretisiert;[15] hier wäre ein größerer Detailgrad wünschenswert.

Was passiert im schlimmsten Fall mit unserer Währung?

Der größte anzunehmende Unfall ist der Zusammenbruch des ESZB und die Weigerung der Schuldner unter den NZB, ihre Schulden im ESZB zu begleichen. Italien tritt aus, weigert sich, die Schulden gegenüber der EZB anzuerkennen und zahlt nichts. In diesem Falle würden bei der EZB gigantische Abschreibungen vorzunehmen sein, die bei Auflösung der EZB dann auch die Deutsche Bundesbank träfen. EINE BILLION EURO WÄREN FUTSCH. Das wäre der Ruin Deutschlands, und zwar auf Generation hinaus, könnte man meinen. Und was passiert in Wirklichkeit?

N  I  C  H  T  S

Zentralbankgeld, welches im ESZB geschöpft wird, und Giralgeld, das die Banken durch Kreditvergabe schöpfen, ist sogenanntes „Fiatgeld“, ein hypothetisches Konstrukt. Verbrennen wir 1 Billion Euro, die wir allen Menschen aus der Tasche ziehen, entsteht kein volkswirtschaftlicher Schaden (außer für die Herstellung neuer Scheine), lassen wir 1 Billion Euro in Scheinen über der Bevölkerung herabregnen, entsteht kein volkswirtschaftlicher Gewinn.

Die Bundesbank könnte schlicht die Verluste aus der Abschreibung der Forderung gegen die EZB in einen aktivischen Ausgleichsposten im Sinne eines Aktivtausches „umbuchen“, als sei die Forderung noch vorhanden, und diese über 1 000 Jahre abschreiben. Oder sie könnte den Verlust für immer und ewig vortragen. Da die EZB beziehungsweise eine dann wieder eigenständige Bundebank selbst Geld schöpfen kann, werden ihre Gläubiger über die „Überschuldung“ nicht besorgt sein müssen. Es wird auch keine hyperinflationären Schübe geben, da die – gegebenenfalls inflationär wirkende – Geldschöpfung, aus denen die Target 2-Forderung gegenüber der EZB ursprünglich erwachsen ist, längst geschehen ist. Gab es eine Geldentwertung aus dem Quantitative Easening, dann lag sie zu diesem Zeitpunkt weit in der Vergangenheit zu jenem, hoffentlich stets fiktiven dramatischen Ereignis.

Und wenn es zu einem Staatsbankrott kommt?

In dem Fall, dass Italien in einen Staatsbankrott schlittert, wird es an den Märkten selbstverständlich zu großen Verwerfungen kommen. Banken, Versicherungen, Investmentfonds und Privatleute, die Schuldtitel Italiens halten, müssten diese abschreiben und gegebenenfalls selbst Insolvenz anmelden. Hunderttausende von Arbeitnehmern könnten ihre Jobs verlieren. In dem Fall würde Italien möglicherweise die Lira wieder einführen. Möglicherweise würden Auslandsschulden in Lira zwangskonvertiert und müssten dann wechselkursbedingt stark abgewertet werden.

Während die Krise Griechenlands bereits kleine Beben in den anderen Mitgliedsstaaten verursacht hat, würde es bei einer vergleichbaren oder schlimmeren Krise in und ausgehend von Italien als drittgrößte Volkswirtschaft der EU (ohne Großbritannien) zu weit höheren Ausschlägen auf der ökonomischen Richter-Skala kommen. Eine schwere Rezession steht zu befürchten, die dramatische Auswirkungen zeitigen könnte.

Die hieraus entstehenden Probleme haben jedoch nichts mit den Target 2-Salden zu tun. Der Ausfall der Target 2-Forderung der EZB gegen die Banca d’Italia wäre lediglich eine Konsequenz aus dieser dramatischen Krise. Um beide Problemkreise, Staatsfinanzkrise und Ausfall der Target 2-Forderung gegen Italien, zu trennen, ist es hilfreich sich – im Sinne eines Gedankenexperiments – vorzustellen, dass ein geordneter, äußerst entgegenkommender Austritt Italiens aus dem Euro vereinbart wird, der so tatsächlich nie erfolgen würde. Dieser könnte – rein theoretisch – wie folgt aussehen:

  • Die Gesellschafter der EZB vereinbaren einen vollständigen Verzicht auf die Target 2-Forderung der EZB gegenüber der Banca d’Italia. Der bei der EZB entstehende Verlust wird – bei der EZB oder den NZB – über einen extrem langen Zeitraum vorgetragen und in geringen Beträgen gegen zukünftige Gewinne verrechnet.
  • Die Banca d’Italia gibt den Vorteil, also den Gewinn aus der Löschung einer Verbindlichkeit, an den Staat Italien weiter, indem sie den Gewinn ausschüttet und so eine Tilgung der Anleihen durch den Staat Italien ermöglicht. Die Schuldenquote Italiens sinkt in Folge dessen auf ein erträgliches Maß.
  • Italien führt die Lira ein und zwangskonvertiert alle inländischen Forderungen und Verbindlichkeiten et cetera zu einem angemessenen Wechselkurs. Da es sich um eine Währungsreform handelt, besteht hierin zunächst keine Enteignung der Unternehmer und Bürger.
  • Zu Beginn des Prozesses verhindern Kapitalverkehrskontrollen eine Kapitalflucht aus Italien. Notfalls werden Auslandsguthaben und Finanzanlagen im Ausland nach Italien zwangsweise repatriiert.
  • Italien kommt allen weiteren Auslandsschulden weiterhin in Euro nach.
  • Eine seriöse Finanzpolitik hält Einzug im Palazzo delle Finanze. Die Geld- und Währungspolitik orientiert sich an den gleichen Zielen wie die der EZB. Der Wechselkurs der Lira schwankt frei, aber bleibt relativ stabil zum Euro.

Trotz eines gigantischen Verlusts in der EZB-Bilanz in Folge der Abschreibung der Target 2-Forderung gegenüber Italien käme es in diesem Szenario zu keinen Verwerfungen an den Finanzmärkten und mithin auch zu keinen negativen Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Im Gegenteil, Italien könnte sogar seine Finanz-, Geld- und Währungspolitik freier gestalten als zuvor, und den realwirtschaftlichen Realitäten anpassen. Die Auswirkungen auf die anderen EU-Staaten, insbesondere die Euroländer, wären – wie oben dargestellt – nicht bemerkbar, zumal deren NZB und die EZB – wie zuvor gezeigt – voll handlungsfähig bleiben. Das Beispiel führt vor Augen, dass unsere Sorgen einer Finanzkrise in Italien oder in einem anderen Mitgliedstaat gelten müssen, nicht aber den Target 2-Salden selbst.

Droht uns dann nicht Hyperinflation?

In dem obigen Gedankenexperiment wurde gegen das Verbot der Staatsfinanzierung durch das ESZB verstoßen, welche in Folge einer Vertragsänderung durch die EU-Mitgliedsstaaten natürlich rechtlich ermöglicht werden könnte. Einer der wesentlichen Gründe es Verbots der Staatsfinanzierung liegt in der Gefahr der Hyperinflation, die mit dem „Anschmeißen der Notenpresse“ einhergeht. Das deutsche Volk hat 1923 „am eigenen Leibe“ die große Not erfahren, welche die Hyperinflation hervorgerufen hat. Es hat sich quasi in die deutsche Volksseele eingebrannt, dass eine Hyperinflation um jeden Preis zu verhindern ist.

Es besteht jedoch ein bedeutender Unterschied zwischen dem Gedankenexperiment und Deutschland in den Zwanzigern des 19. Jahrhunderts sowie auch zu heutigen Staaten mit Hyperinflation, wie zum Beispiel Venezuela. Die Reichsbank hat die Notenpresse bis zur Währungsreform im November 1923 nie gestoppt und immer weiter und immer mehr Mittel der Reichsregierung bereitgestellt. Erst aus diesem Grund kam es zu einer galoppierenden Hyperinflation.

In unserem Gedankenexperiment handelt es sich jedoch um eine – zum Zeitpunkt der hypothetischen Abschreibung der Target 2-Forderungen – vergangene Erhöhung der Geldmenge und um eine einmalige Finanzierung von in der Vergangenheit gemachter Staatsschulden. Zwar wurde die Geldmenge stark erhöht, aber nicht mit exponentieller Geschwindigkeit und nicht kontinuierlich andauernd, sondern mit einem definierten Ende. Daher hätte die nachträgliche Staatsfinanzierung Italiens durch eine Abschreibung der Target 2-Forderungen keine Bedeutung für die Inflation in Europa, mit der Ausnahme, dass sich Italien befördert sehen könnte, die gewonnene Flexibilität für weitere Staatsausgaben zu nutzen.

Also, wo liegt das Problem?

In der Höhe der Target-Schulden der Banca d’Italia bei der EZB, welche die Ankäufe italienischer Staatsanleihen finanziert haben, zahlt Italien keinen Zins auf Staatsanleihen. Das gilt selbstverständlich gleichermaßen auch für alle anderen Euro-Mitgliedsländer. Dies erklärt sich wie folgt:

Die Target-Forderungen und -Verbindlichkeiten der NZB und der EZB werden mit der Hauptrefinanzierungsrate verzinst. Diese ist seit März 2016 Null. Also zahlt die Banca d’Italia keinen Zins auf ihre Target-Schulden.[16] Der Staat Italien zahlt an die Banca d’Italia allerdings den risikogerechten Anleihezins. Da die Banca d’Italia das Anleiherisiko trägt, zählen diese Zinserträge nicht zu den monetären Einkünften im ESZB und werden somit nicht im ESZB verteilt.[17] Also entsteht genau in der Höhe der Anleihezinsen bei der Banca d’Italia ein Zinsüberschuss. Dieser Zinsüberschuss ist Teil des Gewinns, den die Banca d’Italia an den Staat Italien ausschüttet. Zwar muss Italien erst die Anleihezinsen bezahlen und erhält den Gewinn erst mit großem Zeitverzug. In der Gesamtbetrachtung indes trägt der Staat Italien keine Zinsbelastung auf den Teil der Staatsschulden, den die Banca d’Italia hält und durch Target-Schulden refinanziert.

Nicht rechtlich, aber faktisch trägt das Anleiherisiko auf der Bilanz der Banca d’Italia gleichwohl das ESZB, denn mit einem bankrotten Staat Italien würde wohl auch dessen Zentralbank sich aus dem ESZB verabschieden und ihre Target-Verbindlichkeiten in Frage stellen. Der Zins auf die Target-Forderungen ist daher nicht risikogerecht ausgestaltet.

Sollte es so kommen, dass Italien beziehungsweise die Banca d’Italia ihre Schulden gegenüber der EZB nie tilgt, nicht begleicht oder bis in alle Ewigkeit sogar stetig erhöht, ist darin eine Staatsfinanzierung mit der Notenpresse zu erkennen, nur dass die Presse elektronisch arbeitet und von allen Euro-Staaten betrieben wird. Sofern dieser Mechanismus in massiv abweichenden Proportionen für die Euro-Staaten vonstattenginge, also das ESZB italienische Staatsschulden viel höher über Target-Salden finanzierte als die anderer Euro-Staaten, läge hierin eine geradezu gigantische Unfairness gegenüber den Staaten begründet, die ihre Haushalte besser im Griff haben.

Betrachten wir dazu die Finanzierung einer Haushaltslücke genauer. Besteht eine Haushaltslücke, wird diese durch Kredite der Geschäftsbanken an den Staat oder durch die Emission von Staatsanleihen finanziert. Dieses Geld wird vom Staat ausgegeben und wandert auf die Konten der Unternehmen, Haushalte und Staatsangestellten, welche die Güter, Dienstleistungen und die Arbeitskraft für den Staat bereitstellen. Dieses Geld zirkuliert in der Wirtschaft und wird auch in Staatsanleihen investiert. Aus einer Nettobetrachtung der Volkswirtschaft heraus hält der private Sektor nun die Staatsanleihen, für die er zuvor die Gegenleistungen an den Staat erbracht hat.

Im Quantitative Easening weist die EZB die NZB an, Staatsanleihen vom Privatsektor auf eigenes Risiko anzukaufen. Die NZB erwirbt die Staatsanleihen gegen Gutschrift von Zentralbankgeld auf dem Konto der Geschäftsbank des Verkäufers der Staatsanleihe. Das Zentralbankgeld schöpft die NZB durch diesen Vorgang im Zuge einer Bilanzverlängerung selbst. Der Verkäufer erhält die entsprechende Gutschrift auf seinem Konto; das vom Staat geliehene Geld ist damit nochmals vollständig im Kreislauf der Volkswirtschaft angekommen. Das ist ja auch gerade der Sinn des Quantitative Easening, mehr Geld in die Märkte zu pumpen, um die Zielinflation der EZB in Höhe von etwa 2 Prozent im Durchschnitt für die Euroländer zu erreichen.

Würde nun Italien (oder ein anderes Target 2-Schuldnerland) aus dem Euro austreten und die Taregt 2-Schulden nicht begleichen, entstünde bei ihrer NZB ein hoher Gewinn. Dieser Gewinn würde es dem Staat der NZB erlauben, seine Schulden auf der Bilanz der NZB ganz oder zu einem guten Teil zu tilgen. Der vormalige Staatskonsum würde quasi durch einen vom Staat selbstbewirkten Schuldenschnitt zu Lasten einer höheren Geldmenge finanziert. Das käme einer nachträglichen Staatsfinanzierung durch Schöpfung von Zentralbankgeld gleich.

Zugespitzt liefe folgendes Beispiel der verbotenen Staatsfinanzierung auf das gleiche Ergebnis wie in unserem Gedankenexperiment hinaus: Die italienische NZB gibt dem Staat Italien einen Kredit. Mit diesem Geld kauft Italien Rüstungsgüter in Deutschland. Auf der Bilanz der Banca d’Italia finden wir eine Forderung gegen den Staat Italien und eine Target 2-Verbindlichkeit gegenüber der EZB in gleicher Höhe. Würde die Verbindlichkeit gegenüber der EZB nicht bedient, finanzierte der daraus entstehende Gewinn die Tilgung des Kredits an den Staat Italien. Der Staatskonsum Italiens wäre also finanziert worden mit einer höheren Geldmenge, die sich jetzt im Kreislauf der deutschen Volkswirtschaft befindet und dort die Preise erhöht.

Der Verlust für die übrigen Euro-Länder läge also darin, dass sie durch die Erhöhung der Geldmenge für Teile ihrer Güter eine höhere Inflation hinnehmen mussten. Inflation findet nicht nur bei den Gütern und Dienstleistungen statt, die im offiziellen Warenkorb für die Messung der Inflation berücksichtigt werden. In Deutschland ist eine hohe Inflation beispielsweise für Immobilien in Großstädten zu beobachten, für welche die Preise geradezu explodieren. Zeitverzögert wird sich das auch in steigenden Mieten niederschlagen, da die gezahlten Wohnungspreise sich natürlich für die Investoren auch im Verhältnis zu den höheren Kaufpreisen rentieren müssen.

Schon jetzt „bezahlen“ einige der Euro-Volkswirtschaften das Quantitative Easening mit einer Inflation auf den Immobilienmärkten. Würde auf Target 2-Forderungen verzichtet oder würden diese bestritten werden, wäre der Preis für die damit verbundene Staatsfinanzierung schon längst durch die Bürger anderer Ländern – schleichend und verdeckt – bezahlt worden. Käme es jedoch – wie auch von der EZB vorgesehen – zu einer regulären Tilgung der Target- und Staatsschulden, welche die NZB halten, würde auch die Geldmenge wieder verringert. Dies führt sodann zu einer Reduktion der inflationären Tendenzen und schlimmstenfalls sogar zu Deflation.

Klarstellend muss gesagt werden, dass die inflationären Tendenzen auf den Immobilienmärkten zu einem guten Teil auf das Quantitative Easening für den gesamten Euroraum zurückzuführen sind. Der spezifische Effekt, der aus den Target-Salden einiger Schuldnerländer herrührt, ist dagegen eher begrenzt. Dieser Problematik wäre indes eine eigenständige Abhandlung zu widmen.

Was sage ich den Polemikern und Politikern?

Die Dramatisierung der Target 2-Salden geht in die falsche Richtung. Selbst bei einem Auseinanderbrechen des ESZB können die Zentralbanken mit den daraus entstehenden Verlusten und negativem Eigenkapital umgehen. Der Grund liegt darin, dass sie nicht den üblichen Insolvenzregelungen und Ausschüttungssperren unterworfen sind und selbst Zentralbankgeld schöpfen können und zwar sogar zu Gunsten der Staatshaushalte. Die Austritte aus dem ESZB oder gar vorausgehende Staatsbankrotte sind hingegen die Schreckensszenarien, denen vorzubeugen ist.

Ungeachtet dessen handelt es sich bei den Target 2-Salden auch nicht um bloße statistische Größen, wie die Beschwichtiger aus dem linken Spektrum glauben machen. Die Target 2-Salden sind zum Teil Ausdruck der Verletzlichkeit der Volkswirtschaften, welche diese gigantischen Target 2-Schulden „angehäuft“ haben, und auch Ausdruck großer Ungleichgewichte in den Haushaltsdefiziten und den „Terms-of-Trade“. Die mit den Target 2-Salden einhergehende Verschiebung der Geldmenge in die Target-Gläubigerländer führt dort zu Inflation in Investitionsgütern, insbesondere bei Immobilien in Großstädten. In der Folge steigen in Großstädten die Mieten überproportional. Außerdem eröffnen Target 2-Schulden den betroffenen Staaten ein Drohpotential im Zuge eines Austritts, da keinerlei Sicherheit für eine Tilgung besteht. Die Situation der Target-Salden ist also keineswegs bloß eine statistische Nuance.

Folgende Maßnahmen könnten seitens der Politiker und der EZB in Betracht gezogen werden, um die Risiken zu mitigieren oder zu honorieren:

  • Das Quantitative Easening ist zu beenden und langsam zurückzuführen in einer Geschwindigkeit, die eine Deflationsgefahr weitmöglichst reduziert. In Folge dessen ist möglicherweise mit einem Preisrückgang an den Börsen und bei Investitionsgütern zu rechnen.
  • Die Regelungen zum Umgang mit hohen Verlusten bei EZB und NZB könnten klarer gefasst werden, um unzweideutig der Öffentlichkeit vor Augen zu führen, dass die Handlungsfähigkeit einer Zentralbank zu keinem Zeitpunkt in Frage zu stellen ist.
  • Die Regeln zur Staatsfinanzierung sind klarer zu fassen, beispielsweise bezüglich zeitlich koordinierter Ankäufe von Geschäftsbanken, im Hinblick auf nachträgliche Forderungsverzichte und über den Weg staatlicher Banken.
  • Die Target 2-Schulden und -Forderungen sollten durch staatliche Verträge bekräftigt werden. Es darf nicht der geringste Anschein eines Zweifels bestehen, dass es sich um rechtswirksame Forderungen und Verbindlichkeiten der NZB handelt, für die der Staat letztendlich haftet.
  • Die NZB sollten Sicherheiten für die Target 2-Salden stellen, vorzugsweise Sonderziehungsrechte und Gold, aber nachrangig auch Forderungen gegen ihren Heimatstaat und gegen inländische Banken. Zwar sind die Anleihen weniger wert bei einem Austritt eines Landes aus der EU und dem Euro, aber sie haben einen Wert und können bei einem Austritt aus der EU nicht einseitig durch die NZB nachgelassen werden.
  • Die Target 2-Salden könnten einer höheren, staatenspezifischen Verzinsung unterworfen werden, zum Beispiel einer Verzinsung, die das Risiko des Staates der NZB reflektiert, also dessen Anleihezins, sofern nicht unzweifelhafte Sicherheiten gestellt wurden.
  • Sobald ein Euro-Mitgliedsland eine Debatte darüber beginnt, die EU zu verlassen oder eine Parallelwährung einzuführen, muss es der EZB und den anderen NZB gestattet sein, Kapitalverkehrskontrollen und -einschränkungen auch gegen Bürger und Unternehmer des betreffenden Staats einzuführen. Beispielsweise würde die Repatriierung von Einlagen und Depots der Staatsbürger von Target 2-Schuldnerländern, also zu inländischen Banken und Investmentgesellschaften, zu einer erheblichen Reduktion der Target 2-Schulden dieses Landes führen können.
  • Schaffung der Möglichkeit eines Euro-Austritts unter der Maßgabe, dass die Target-Schulden beglichen werden und die Währungsreform zu keinen erheblichen Disruptionen führt.

Jeglicher Aktionismus ist fehl am Platz. Gleichwohl wäre eine aktivere Politik zur Behebung der Unvollständigkeiten der Reglements im ESZB gleichwohl zu begrüßen. Ungeachtet der offen vor uns liegenden Regelungslücken dürfte eine Einigung sich in den meisten Aspekten als schwierig erweisen, da sie stets mit Vor- und Nachteilen für einige Mitgliedsstaaten einhergehen. Der Handlungsspielraum bleibt mithin limitiert.

Hätte es eine Alternative zu Target 2-Salden gegeben?

Theoretische hätte es eine Alternative zum Target-Zahlungsverkehr gegeben. Diese Alternative wäre die Abwicklung des Zahlungsverkehrs, wie er auch mit Nicht-Euroländern vonstattengeht. Zunächst wäre es in diesem System untersagt, dass NZB sich untereinander Gelder „überweisen“, was gerade zu Target 2-Salden führt, oder zumindest solche „Überweisungen“ nur insoweit gestattet sind, wie die Salden in akzeptierten Grenzen bleiben (eine vergleichbare Vorgehensweise besteht zwischen EZB und FED). Der Zahlungsverkehr würde dann über Nostro- und Vostro- Konten der Geschäftsbanken – also Konten bei Banken im Ausland („unser Konto“, lateinisch „nostro“) und deren Konten bei der eigenen Bank („Ihr Konto“, lateinisch „vostro“) – abgewickelt. Die Gutschrift eines Geldeingangs aus dem Ausland würde sich dann nicht auf dem Zentralbankkonto der Geschäftsbank zeigen, wie es im ESZB der Fall ist, sondern auf dem Nostro-Konto der Geschäftsbank des Empfängers bei der Geschäftsbank des Überweisenden.

Da sich auch in diesem System ähnliche wie die bestehenden Ungleichgewichte einstellen, käme es zu einer hohen Verschuldung der italienischen bei den deutschen Banken (hohe Einlagen auf den Nostro-Konten der deutschen bei den italienischen Banken). Aufgrund des Misstrauens der Banken untereinander ließe sich das Ungleichgewicht nur mittels entsprechender Sicherheiten bewerkstelligen, welche die italienischen Banken den deutschen für deren Guthaben auf den Nostro-Konten bereitstellten; eine Finanzierung über Anleihen italienischer Banken mit entsprechend höheren Zinskupons wäre ebenfalls denkbar. Die Steuerung der Liquidität der Banken würde sehr verkompliziert, da der Euro in Italien nicht mehr der gleiche Euro ist wie in Deutschland – es bestünden quasi nationale Währungen mit einem Wechselkurs von eins-zu-eins.

Die Kosten des Zahlungsverkehrs würden den höheren Aufwand der Abwicklung und die Interbankenrisiken widerspiegeln. Im Extremfall würden Banken die Überweisungen nicht ausführen, wenn die mit den Nostro-Konten verbundenen Risiken nicht mehr tragbar wären. Mit anderen Worten, die im ESZB liegenden Risiken aus dem Zahlungsverkehr würden zurück ins Bankensystem zu höheren Kosten für die Wirtschaft verlagert, gleichwohl wären sie Risiken das privaten Sektors und nicht der Zentralbanken oder der Staaten.

Fazit

Als die EZB und das ESZB aufgesetzt wurden, hat kein Politiker die Möglichkeit des Entstehens von Target-Salden und die einhergehenden Inflationsgefahren und Kreditrisiken überblickt. Aber auch seitdem das Problem öffentlich bekannt geworden ist, herrscht eine Vogel-Strauß-Politik bei allen Beteiligten. Während eine Dramatisierung der Target-Salden richtigerweise als Populismus zu brandmarken ist, besteht gleichwohl Handlungsbedarf. Nicht nur müssen die Verträge und Regeln geschärft, es muss auch den Auswirkungen eines potentiellen EU-Austritts eines Euro-Landes mit einem entsprechenden Maßnahmenkatalog vorgebeugt werden, da sich ungleich drastischere Konsequenzen einstellen könnten. In dieser Hinsicht wäre eine aktivere Rolle der Politik oder EZB wünschenswert.

Endnoten:

  1. Die Rolle der Zentralbanken in Zeiten von Fake News und Populismus, J. Wuermeling, Deutsche Bundesbank, Redetext, Presseabteilung, Frankfurt, 06.05.2019
  2. TARGET balances of participating NCBs, EZB, Statistische Veröffentlichungen: sdw.ecb.europa.eu, letzte Aktualisierung vor Abruf 02.05.2019
  3. Bundeshaushalte 2017: 325 Mrd., 2018 vorläufig festgestellt: 337 Mrd., 2019 geplant: 356 Mrd. Euro; Maastricht-Schuldenstand per Ende 2017: 2.115 Mrd. Euro; Bruttoinlandsprodukt per Ende 2017: 3.277 Mrd. Euro; www.bundesfinanzministerium.de, abgerufen 19.05.2019
  4. Tabelle IV. Banken, 5. Kredite der Banken in Deutschland an inländische Nichtbanken, Deutsche Bundesbank, Monatsbericht, 02.05.2019, www.bundesbank.de
  5. Abruf https://de.statista.com/statistik/daten/studie/241829/umfrage/entwicklung-der-geldmenge-m3-in-der-euro-zone/ am 20. Mai 2019.
  6. Keinesfalls nutzlos – Ökonomen verkennen den Wert der Target-Salden, Norbert Häring, Handelsblatt, 27.07.2018, abgerufen am 19.05.2019
  7. Interview von H.-W. Sinn, Ludwig von Mises Institut Deutschland, 10.08.2018, www.misesde.org
  8. Facebook, 20.12.2018
  9. Target-Forderungen der Bundesbank, Gerhard Schick, Rede vor dem Bundestag, 28.09.2018
  10. Wenn der Euro unverändert fortbesteht, ist Target kein Risiko, Die Welt, Gastbeitrag J. Beermann, 20.07.2018
  11. Disaggregated financial statement of the Eurosystem, per 4. Januar 2019, www.ecb.europa.eu/press/pr/wfs/dis/html/index.en.html
  12. Veröffentlicht als Neufassung in den Mitteilungen der Deutschen Bundesbank Nr. 10001/2017 vom 3. Februar 2017.
  13. Die tschechische Zentralbank wies zwischen 2002 und 2014 ein negatives Eigenkapital auf, siehe Zwölf Jahre insolvent und trotzdem quietschfidel, Braunberger, FAZ Blog, 5. April 2015. Im Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank für das Jahr 1973 wird auf Seite 82 ein Bilanzverlust aktivisch ausgewiesen, der das Eigenkapital um ein Vielfaches übersteigt. Dieser Bilanzverlust entstand in Folge des Zusammenbruchs des Bretton Woods-Systems, ebenda Seite 46 ff., und wurde in den Folgejahren mit Gewinnen verrechnet, die entsprechend dem Bundeshaushalt nicht zu Gute kamen.
  14. Italien hegte die Absicht, kurzlaufende Schatzanweisungen in kleiner Stückelung („Mini-BOTs“) zu emittieren, mit denen Steuerschulden und gegebenenfalls weitere Forderungen beglichen werden können sollen.
  15. Siehe auch Verordnung (EG) Nr. 360393; ausführlich Dt. Bundestag WD 11–3000–140/11.
  16. Auch bei einem positiven Hauptrefinanzierungszins würden die Zinserträge und Zinsaufwände der NZB mit einander verrechnet und ausgeglichen werden, da dies monetäre Einkünfte sind. Erst bei länderspezifischen Zinsen auf Target-Forderungen käme es zu einer Umverteilung an Staaten mit positiven Salden beziehungsweise mit niedrigeren Zinssätzen auf Target-Forderungen.
  17. Es war Wille der Bundesbank und einiger weiterer Notenbanken, dass die Anleihen der Euro-Staaten auf eigenes Risiko der jeweiligen Notenbanken gekauft werden.

 

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